Zum Boykott der am vergangen Sonntag gestarteten WM rufen Fangruppen in vielen Stadien bereits seit längerer Zeit auf. Zahlreiche Lokale werden bewusst keine Spiele übertragen, mancherorts werden alternative Veranstaltungen angeboten. Was aber sind die Gründe für die in Europa recht breite Ablehnung und was bringt ein Boykott? Ganz klar sind als Erstes die Verhältnisse betreff Menschenrechte in Katar anzuführen. Meinungs- und Religionsfreiheit sind stark eingeschränkt, Frauen werden enorm benachteiligt, die Pressefreiheit existiert ebenso wenig wie Parteien. Die sexuelle Orientierung ist vom Islam vorgegeben, alles andere als hetero ist „haram“, unrein, krank. Soweit die Sicht aus dem europäischen Blickwinkel. Was das für andere Regionen der Welt und Bereiche des Lebens bedeutet, ist zunächst offen, darauf möchte ich später zurückkommen.
Dass die objektiv betrachtet sehr schönen Stadien durch ausgebeutete Gastarbeiter errichtet wurden, deren Arbeitsverhältnisse sklavenähnlich sind, ist ein weiterer Grund, diese WM zu kritisieren. Wie viele Todesfälle es bei den Bauarbeiten gab, ist nicht dokumentiert, es sollen Tausende gewesen sein. Egal wie viele Menschen den Tod fanden, jeder Einzelne ist einer zu viel. Dass auf diesem Gebiet leichte Fortschritte erzielt wurden, sollte auch erwähnt werden. Etwa die Einführung eines Mindestlohnes, der sich in einem der reichsten Ländern der Welt mit monatlich umgerechnet etwas mehr als 200 € aber wie ein Hohn ausmacht. Immerhin wurde das Kafala-System, mit dem Abhängigkeitsverhältnisse geschaffen wurden, offiziell beendet. Ob das nun tatsächlich so ist, kontrolliert und im Missbrauchsfall geahndet wird, ist fraglich. Gewerkschaften existieren in Katar nicht.
Aber nicht nur die Bauarbeiter werden ausgebeutet, sondern auch meist weibliche Hausangestellte, deren Rechte praktisch nicht vorhanden sind. Ein weiteres Argument gegen die Austragung dieser WM ist der Zeitpunkt. Die Meisterschaften der europäischen Topnationen werden unterbrochen, die Spieler haben keine Zeit zur Regeneration, von Vorbereitung kann keine Rede sein. Die Hitze im Sommer machte die Verschiebung in den Winter notwendig, deshalb werden die Stadien klimatisiert, gekühlt. Es scheint unwahrscheinlich, dass dieses Turnier wie propagiert klimaneutral sein soll. Katar ist kleiner als Oberösterreich und kann den Gästen nicht genügend Betten anbieten, deshalb werden massenhaft Flugshuttles aus dem benachbarten Ausland notwendig.
Zu verantworten hat die ganze Geschichte die FIFA. Die für die Vergabe verantwortlichen Herren wurden aus ihren Ämtern entfernt, nach einer FBI-Aktion wanderten manche sogar hinter schwedische Gardinen. Nun soll das Vergabeverfahren transparenter gestaltet und die jeweilige Menschenrechtssituation stärker einbezogen werden. Man wird sehen, ob es wirklich besser wird, der aktuelle FIFA-Präsident Infantino lebt jedenfalls mit seiner Familie in Katar. 3,5 Milliarden € Reingewinn sind übrigens für die erste WM im arabischen Raum prognostiziert.
Insgesamt genügend Gründe, gegen solche Zustände Stellung zu beziehen. Doch was bringt ein Boykott, wenn Katar an deutschen Unternehmen wie u.a. Siemens, VW oder Porsche beteiligt ist? Der Wüstenstaat ist in ganz Europa aktiv, an vielen Unternehmen beteiligt, speziell im Fußball als Eigentümer von PSG und Sponsor vieler weiterer Klubs. Dazu kommt aktuell mehr Macht denn je auf Grund der großen Energiereserven. Dass kein Fußballer das Turnier boykottiert, leuchtet mir ein, ist es doch ein Highlight für jeden Sportler, teilnehmen zu dürfen. Sportliche Boykotte haben noch nie direkt zu Lösungen geführt, das zeigte die Geschichte.
Was jedoch durchaus konstruktiv ist, dass durch den Boykott vieler Fans eine Diskussion angefacht wird, die zu mehr Bewusstseinsbildung führen kann. Denn wie sieht es mit unserer Haltung betreff vieler anderer Missstände auf der Welt aus? Wir konsumieren ungehemmt Waren von Elektronik bis Kleidung, die aus Ländern stammen, in denen ähnliche oder gar schlechtere Bedingungen für die Menschen herrschen. Auch auf politischer Ebene ist es sehr schwierig, mit Ländern wie China oder Russland zu verkehren. Handel wird betrieben, leise protestiert, aber wenn es um den Gewinn geht, dann ist sich jeder selbst der Nächste.
Ich selbst muss zugeben, dass ich diesbezüglich auch nicht frei von Fehlern bin, was die WM betrifft, so ist mein Desinteresse von besonderer Güte. Normalerweise wusste ich bei Turnieren bereits lange davor die Gruppen auswendig, hatte Spieltermine im Kalender eingetragen. Diesmal war es nur einer, am Tag der Eröffnung. Da trafen nämlich Europameister Italien und Österreich in Wien aufeinander. Sie boykottieren beide, haben sich ganz einfach nicht qualifiziert. Was mein Konsumverhalten betrifft, so werde ich sehen, wie ich ohne meine geliebte Droge Fußball durch die nächsten Wochen kommen werde. Nicht erleichtert wird die Situation dadurch, dass ich die heuer noch geplanten zwei Testspiele von Admira Wacker aus terminlichen Gründen verpassen werde. Gespielt wird am 25. 11. (14.30) in der Südstadt gegen Sturm, am 2. 12. (14h) auswärts gegen den LASK.
Nicht nur gegen diese beiden Klubs, sondern viele mehr im Land, einmal gleich 4 Stück gegen die Grünen, für Atletico Madrid (auswärts gegen Real), für das Nationalteam bei der WM in Italien, als Torschützenkönig mit 35 Treffern 1989/90 hat Gerhard Rodax für seinen Klub Admira Wacker getroffen. Der sympathische, bescheidene Tattendorfer ist nicht mehr. Im Alter von nur 57 Jahren verstarb er in der Vorwoche. Mein Beileid und Mitgefühl gilt seiner Familie und seinen Freunden, ich wünsche allen viel Kraft in dieser schweren Zeit. Möge dem leichtfüßigen „Hartl“ die Erde leicht sein.
Forza Boykott! Forza Südstadt Fanatics! Forza Admira Wacker! (ms)
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Werner (Montag, 21 November 2022 19:27)
Sehr guter Artikel
Matthias Schwaiger (Dienstag, 22 November 2022 07:16)
Danke Dir, Werner!
Michaela (Samstag, 26 November 2022 07:58)
Alles richtig was du an Argumenten bringst. Danke für deine Haltung, Halte dir die Daumen, dass du genug Ablenkung findest um den für dich so harten Entzug zu überstehen!
Matthias Schwaiger (Samstag, 26 November 2022)
Danke, mal sehen, wird hart, aber nachdem Österreich und Italien auch boykottieren, ist es nicht ganz so schwer. Andererseits habe ich seit 1982 jede WM und EM undundund im Fußball mehr oder weniger intensiv mitgemacht. Damit zu brechen, fällt nicht leicht.